Sonntag, 4. September 2016

Mein Leben ohne Handy Teil 4 - oder der Nyfz

Wenn man früher mit dem Zug fahren wollte, dann hat der Herr Vater zuvor das Kursbuch hervorgeholt, hat in dem gewaltigen Werk eine Weile recht wichtig umeinandergeblättert im sicheren Wissen, daß sich außer ihm niemand damit auskennt - und nachdem die Verbindung bekanntgegeben worden war, ist man am Reisetag zum Bahnhof gepilgert und hat sich dort eine Fahrkarte gekauft. Am Schalter. Dort saß der Herr Eckert und hat mit dem Vater oft lange Fachgespräche geführt wie man die Strecke vielleicht doch etwas kostengünstiger gestalten könnte, indem man beispielsweise nicht am Samstag fährt und Sonntag ging auch nur wenn es regnet oder im Namen des Tagesheiligen mindestens zwei 'z' vorkommen.

Herr Eckert konnte die ganze Arbeit bald nicht mehr alleine schaffen, und er bekam einen jungen Mann zugeteilt den meine Brüder und ich frech den 'Tomatenheini' nannten weil er rote Haare, rote Augenbrauen und - spätestens wenn wir drei auftauchten - auch ein rotes Gesicht hatte.

Bald darauf wurde der Bahnhof zu einem Haltepunkt degradiert, der Tomatenheini wurde versetzt, und Herr Eckert verkaufte nun keine Fahrkarten mehr sondern nur mehr Sprudel, ansonsten war er hauptsächlich dafür zuständig, den Schranken für die Fahrgäste aufzumachen wenn der Zug nach Augsburg einfuhr, denn vorher durfte keiner das Gleis Richtung Bobingen betreten.

Mitte der 90-er Jahre dann, im Mai 95, wurde ein Tunnel gebaut, durch den die Fahrgäste gefahrlos auf Gleis zwei gelangen konnten, der Fahrkartenautomat saß jetzt am Eingang zum Tunnel und war nächtlicher Zeuge wie die Dorfjugend die Tunnelwände mit häßlichem Gekraxel beschmierten oder gar das Haltestellenhäuschen demolierten. Die letzten Bewohner des ehemaligen Bahnhofsgebäudes zogen aus, das Haus ist seither dem Verfall preisgegeben, Herr Eckert wurde noch ab und an auf dem Fahrrad gesehen, alt geworden, dünn und krank sah er aus, den Sprudel kauften sich die Leute mittlerweile im neu erbauten Supermarkt.

So geht das dahin, anfangs noch die gewaltigen schwarzen funkensprühenden Lokomotiven die wir als Kinder noch am Schranken stehend vorbeifahren sahen und die so langsam fuhren, daß man den Fahrgästen zuwinken konnte - und diese winkten zurück. Später dann die Eilzüge in denen jeder bei geschlossenem Fenster saß, da wurde nicht mehr gewinkt. Nun gar die ICE, da sieht man nur mehr einen weißen Streifen vorüberzischen, der Schaffner heißt Zugbegleiter und hat kein Kursbuch mehr dabei sondern ein kleines elektronisches Kästchen in dem alles drinsteht was der verehrte Fahrgast wohl wissen wollen könnte.

An alles habe ich mich gewöhnt, kaufe meine Fahrkarten mit Behagen online, mich mit Schaudern an die langen Schlangen am Augsburger Hauptbahnhof erinnernd, und genieße es, mir meine eigenen Routen zusammenstellen zu können wie es mir taugt und nicht wie der Herr hinter dem Schalter meint.

Auch mit den meisten Fahrkartenautomaten habe ich mich vertraut gemacht, sogar mit dem hier in Seefeld - dieser Automat könnte mit Leichtigkeit jeden internationalen Fluchwettbewerb gewinnen, denn was er sich tagtäglich in sämtlichen Sprachen anhören darf, davon können andere Automaten nur träumen.

Gestern nun, nach langer Wanderung müde geworden, erklomm ich die letzten Meter zum Haltepunkt Leithen, nachdem mir mein Fahrplanbüchelein versichert hatte, daß um 13:05 ein Zug von dort Richtung Seefeld führe. Fein, dachte ich, mußt nicht noch eine Stunde auf den ollen Bus warten.

Nun noch rasch eine Fahrkarte gekauft und ... äh ... hallo? Kein Automat? Ja das gibt's doch nicht, wie soll ich denn ohne Automat eine Fahrkarte kaufen???
Aufklärung bot ein ca. Din-a-4-großes Schreiben, außen am Haltestellenhäuschen festgepickt: Sie können sich Ihre Fahrkarten beispielsweise mittels QR-Code kaufen.

Aha. Ja, das ist was mit Handy, das hält man dann auf dieses wirre Quadrat und hat dann eine Fahrkarte. Schön. Geht aber nur mit Handy. Ohne Handy steht man nach wie vor ohne Fahrkarte da.

Ja, so verspricht der Aushang weiter, man könne sich die Fahrkarten auch im Internet kaufen unter www-öbb und so weiter. Hm. Ja, schön, aber Internet hatte ich halt auch grad keins dabei.

Der Aushang war aber noch nicht fertig, ganz unten pries er vollmundig die Vorzüge des NFC. Des WHAT??? Ein Nyfz? Was ist DAS denn nun wieder Neumodisches?

Ich brach in Gelächter aus und wandte mich wieder den Gleisen zu. Da schau Fredi, sagte ich, da kommt jetzt gleich der Zug, schau mer mal ob er hält. Der sieht das g'wiß gleich, daß wir keinen Nyfz haben und dann laßt er uns stehen, dann können wir blöd schaun!

Der Zug kam, hielt, und wir hatten großes Glück indem daß es sich um einen richtigen Zug handelte, also einen mit Fahrer UND Zugbegleiter, den man um eine Fahrkarte angehen kann. Was der junge Mann auch gerne und prompt erledigte. Ich hab ihn dann gefragt wie das ist wenn jetzt kein richtiger Zug kommt sondern eine dieser S-Bahnen die zwischen Innsbruck und Scharnitz verkehren und man hat keinen Nyfz? Er wußte dann auch erst einmal nicht was ein Nyfz ist, und zeigte sich verwundert ob der Tatsache, daß in den S-Bahnen kein Zugbegleiter mitfährt. 

Gut, er war Deutscher, aber selbst dort ist es mittlerweile durchaus üblich, daß man auf vielen Strecken keine Zugbegleiter mehr mitführt, an der Türe steht dann immer groß dran: Einstieg nur mit gültigem Fahrausweis.
Den man sich aber zuvor an einem Automaten besorgen kann!
Was dort in Leithen jedoch nicht der Fall ist!
Hier braucht man einen Nyfz oder zumindest einen Butler, der einem den Laptop mit Drucker nachträgt damit man sich noch rasch im Internet eine Fahrkarte ausdrucken kann ...

Was ist das jetzt wieder für eine Aktion? Brauchen die ÖBB so dringend Geld, daß sie die Leute mit miesen Tricks zum Schwarzfahren verleiten um sie hinterher fies grinsend abkassieren zu können?

Hat man sich gedacht: Och, Leithen, da sind wir doch jahrelang eh dran vorbeigefahren, da denkt bei uns doch kein Mensch mehr dran, daß da nun doch wieder ein Zug halten könnte, die Schüler haben ihre Zeitkarten - und wenn hin und wieder einmal so ein Tourist vorbeistolpert, der hat dann auch ein Handy und kann sich mit dem Nyfz eine Karte kaufen. Also weg mit dem Automaten, der war eh mehr kaputt als daß er was gebracht hat.

Oder handelt es sich vielmehr um eine Verschwörung der Postbusfahrer, die um ihre Arbeitsplätze fürchten seit nur mehr wenige Menschen noch mit den Bussen fahren weil jeder Depp ein eigenes Stinkmobil hat und die somit zumindest die Bahn als Konkurrenten ausschalten wollten? 'Hah weischt', werden sie gesagt haben auf der letzten Konferenz, 'dia oldn Leid haun ka Handy nit, do kennan's nit mitfoan mid an Zuag, do miassns wida owekräuln zu uns dos ma lei wenigschtans oan oda zwoa Foargescht hon.'

Oder die unten vom Hirschen waren beleidigt weil sich kaum jemand in ihren beschissenen Gastgarten neben der Straße hineinhocken will, weswegen sie eh schon immer unfreundlicher und garstiger zu den Gästen geworden sind - '... aber wenn sie auf den Bus warten müssen, die handylosen Loser, hoho, dann MÜSSEN sie bei uns einkehren, weil es in Leithen sonst nix gibt *fiesgrins*'.

Wie auch immer es gewesen sein mag, ich werde mir wohl spontane Zugfahrten ab jetzt aufzeichnen können. Zug gibt's nur noch mit vorherigem Fahrkartenkauf im Internet - ansonsten muß man tapfer zu Fuß weiterpilgern, oder auf den Postbus warten der alle zwei Stunden mal durchkommt. Zumindest solange, bis man dort auch einen Nyfz braucht um mitfahren zu dürfen ...















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