Montag, 22. Juli 2024

Die Tyrannei der Muttertiere

Es ist Sonntag. Kurz vor 12 Uhr. Bisher war draußen alles ruhig gewesen, die Vögel sangen, ab und an Stimmen in der Ferne, mal ein Autogeräusch von der Straße rüber, sonst nichts. Und ich habe es genossen. Sonntag ist ein guter Tag. Niemand mäht Rasen, niemand bohrt, die Leute nehmen Rücksicht aufeinander, ich darf mich entspannen.

Auf einmal dringt ein grauenhaftes Geräusch von unten in meine Wohnung im dritten Stock eines ansonsten ruhig gelegenen Mietshauses. Zunächst kann ich das Geräusch nicht zuordnen, denke an einen tollwütigen Hund, an Massenmord, an einen heimtückischen Raubüberfall. Das Geräusch persistiert und mir wird klar, daß es sich um ein Kind handeln muß, welches offenbar völlig grundlos Töne absondert, die an einem Sonntagmittag in einer Wohngegend absolut nichts verloren haben.

Ich begebe mich zu meinem Balkon mit der Absicht, zu schauen ob ich etwas erkennen kann. Noch bevor ich die Fliegentür geöffnet habe überkommt mich angesichts der hemmungslosen Krakeelerei die Wut und ich schreie los: Was ist das denn für ein krankes Arschloch da unten!

Nicht grad die feine Englische, geb ich zu, aber ich bin Asperger-Autistin und nach all den Jahren der permanenten Beschallung von allen Seiten und der (mit) daraus resultierenden Schlafproblematik sind meine Nerven total am Sand.

Von unten kommt ein mauliges: Hey des is'n Kind, was willste? Geh in deine Wohnung!

Ich protestiere: Ich bin in meiner Wohnung!

Von unten wieder: Dann mach deine Fenster zu!

So stellen sich die Damen das also vor. Sie bekommen Kinder, mit denen sie entweder nicht umgehen können oder wollen, denen sie alles erlauben und es ablehnen, ihnen Grenzen zu setzen und ihnen sowas wie Anstand und ein Gefühl für Rücksichtsnahme beizubringen, und wen es stört, also beispielsweise so alte Meckertanten wie mich, die sollen sich gefälligst in ihren Wohnungen verbarrikadieren und da drin ersticken.

Geht's eigentlich noch? Warum sollen meine Bedürfnisse weniger wichtig sein als die eines Kindes? Noch dazu wo meine Bedürfnisse durch ein allgemein anerkanntes Reglement gestützt werden: Sonntagsruhe, Mittagsruhe.

Nur weil irgendein Richter in den 90-er Jahren in einem Anfall von Weltfremdheit beschied, daß Kinderlärm nicht als Lärm anzusehen sei, ändert das nichts an der Tatsache, daß auch Kinderlärm Lärm IST. Und krank macht. Nachgewiesenermaßen. Die Fachwelt weiß dies und wir Betroffenen erst recht.

Wird dem in irgendeiner Art und Weise Rechnung getragen?
Nein. 

Nach wie vor werden wir aus allen Richtungen beschallt. Ob von Autos, von Flugzeugen, von Rasenmähern, Laubbläsern, Baustellenmaschinen und - Kindern. Inzwischen wird fast jeden Abend auf dem Spielplatz drüben, der die ersten Jahre meines Hierseins meist verlassen lag, bis spät abends laut gekreischt. Dagegen kann ich leider nichts machen. Kinder dürfen auf Spielplätzen lärmen, auch bis 21 Uhr wenn sie das möchten. Wie es den Menschen in den umliegenden Wohnungen damit geht, ist egal. 

Ich wünsche mir sehr, daß hier an der Gesetzgebung grundlegend etwas geändert wird. Kinder haben Bedürfnisse, soweit klar. Aber Erwachsene sind auch Menschen. Und haben Bedürfnisse. Lärm macht nun einmal krank, egal wer ihn erzeugt. 

Wenn man es wagt, beispielsweise im Bus, einmal eine Mutter anzusprechen, ob sie ihren Nachwuchs zu etwas mehr Ruhe ermahnen könnte, so bekommt man als Antwort ein patziges: Des sind doch KINDER!

Ja das sehe ich, danke für die Belehrung. Und was soll mir diese Antwort sagen? Hilft mir das weiter? Nein, tut es nicht.

Unlängst hatte ich die Begleitperson einer Handvoll lärmender Kinder, ob es die Mutter war weiß ich nicht, angesprochen und ihr erklärt, daß ich krank sei und daher den Lärm einfach nicht aushielte. Daraufhin erwiderte sie, Kinder dürften soviel schreien wie sie wollten und wo sie wollten, und forderte ihre Entourage auf: So nun schreit einmal alle so laut ihr könnt.

Mir blieb nichts anderes übrig, als mich mit zugehaltenen Ohren in den nächstgelegenen Laden zu flüchten wo ich in Tränen ausbrach.

Ohne meine Bose-Kopfhörer kann ich nicht mehr aus dem Haus gehen und ich bin sehr froh, daß es mittlerweile so etwas gibt. Aber wenigstens in meiner Wohnung, an einem Sonntag, während der Mittagsruhe, möchte ich die Möglichkeit haben, Ruhe einfordern zu dürfen.

Nach unserer kleinen 'Unterhaltung' vom Balkon herab war diese Ruhe übrigens eingetreten. Geht doch. Warum nicht gleich so?